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Der MBTI - ein ressourcen-fokussierendes Instrument für Coaching und Karriereberatung

von Christine Scharlau in Kommunikation & Entwicklung, Fachblatt für Persönlichkeits-, Team- und Organisationsentwicklung (KommEnt Nr. 10, 04/04, S. 5 - 12)
(Erstabdruck in OSC - Organisationsberatung, Supervision, Coaching 1/2004, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, mit freundlicher Genehmigung.)

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„Typisierung? Da werde ich doch in eine Schublade gesteckt!“ Diesen Einwand höre ich vorweg oder im nachhinein, wenn ich in Seminaren oder im Coaching den Myers-Briggs Typenindikator einsetze. Und Ihre Einstellung? Reagieren Sie ähnlich, wenn Sie ,Typen' oder ,Typisierung' lesen? Ich habe den MBTI in den vergangenen vier Jahren speziell in Coaching und Karriereberatung als nützliches Instrument entdeckt und gebe hier eine Zwischenbilanz meiner Erfahrungen, wozu ich einen Abriss der sozialwissenschaftlichen Grundlagen mit einigen Anwendungsaspekten zu beruflicher und persönlicher Entwicklung, zu Berufswahl, Konfliktprophylaxe und Krisenbewältigung verknüpfe.

Coaching bedeutet für mich, dass KlientInnen methodisch unterstützt werden, auf die ihnen gemäße Art mit den Anforderungen ihres Berufes umzugehen. Karriereberatung verstehe ich als eine spezielle Form von Coaching: stärker als bei Coaching-Anlässen, die sich aus beruflichen Rollenanforderungen ergeben, wird bei Fragen der beruflichen Neuorientierung auf die Themen Lebensziele und Potentiale fokussiert. Basis des Coachings ist, dass Menschen über eine Vielfalt von Ressourcen verfügen, um die von ihnen gewünschten Veränderungen selber herbeizuführen. Als Coach stelle ich Methoden zur Verfügung, diese Ressourcen aufzufinden und besser nutzbar zu machen. Der Typenindikator, auf den ich mich hier beziehe, ist so beschaffen, dass er eine konsequente Ressourcenorientierung unterstützt.

1. Was nützt so ein Typenindikator?

Sich selber realitätsangemessen zu verstehen, die eigenen Talente und Werte zu erkennen und zu entwickeln ist eine Lebensaufgabe. Die strukturelle Blindheit für eigene Stärken ist ein Grund, erlebte Unfähigkeiten sind ein anderer, warum Menschen im Coaching systematische Fremdwahrnehmung suchen. Der Myers-Briggs Typenindikator (MBTI) und das Persönlichkeitsmodell C. G. Jungs, auf dem er aufbaut, können unmittelbar auf Selbsterkenntnis und Fremdverstehen wirken. Es steht hiermit ein Referenzmodell zur Verfügung, das über das Coaching hinaus wirksam ist und die berufliche und persönliche Entwicklung von Coaching-KlientInnen unterstützen kann.

Wenn ich in der Karriereberatung biographisch sichtbare Stärken anspreche, lautet ein häufiger Kommentar - insbesondere bei Klientinnen - „Das ist doch selbstverständlich. Kann das denn nicht jeder?“ Alltagstheoretische Deutungsmuster gehen von der eigenen Person aus. So wie Menschen voraussetzen, dass andere Menschen ebenfalls sehen, hören, fühlen, denken . . . , gehen viele zunächst selbstverständlich davon aus, dass andere es genauso wie sie selber tun - und wundern sich, wenn andere zu anderen Schlüssen und Handlungen kommen. Das selbst Erlebte ist so überwältigend überzeugend, dass allenfalls schmerzhafte Konflikte dazu führen, die naive Sichtweise zu korrigieren; diese Korrektur wird dann gemeinhin Erfahrung genannt oder soziale Kompetenz. Andere KlientInnen wiederum erleben Menschen ihrer relevanten Umwelt als derart verschieden von sich, dass sie es aufgegeben haben, sie verstehen zu wollen, sie sind dann oft überrascht über deren Reaktionen und ihre scheinbare Unvorhersehbarkeit.

Der MBTI stellt nicht-wertende Kategorien zur Verfügung, um das Eigene und das Fremde genauer zu beschreiben und ermöglicht damit eine differenziertere Selbst- und Fremdwahrnehmung: ein wesentlicher Teil der wahrgenommenen Ähnlichkeiten und Unterschiede wird benennbar, Missverständnisse können erklärt werden. In Coaching und Karriereberatung liegt genau dort ein wirkungsvoller Hebelpunkt, um Selbstregulation zu verbessern und Blockaden zu lösen. Das Würdigen gravierender Unterschiede im Zugang zur Welt - und wenn möglich das Verstehen - führt außerdem dazu, Konflikte zwischen Personen zu entschärfen (selbst wenn nur einer der Beteiligten sich coachen lässt) und ermöglicht, mit den gegebenen Unterschieden konstruktiv umzugehen.

Typisch für einen Wirtschaftswissenschaftler und Projektleiter war seine Gewohnheit, Probleme zunächst gründlich zu durchdenken, und seine eher zurückhaltende Art. An seinem Arbeitsplatz in der Werbebranche waren diese Eigenschaften nicht besonders geschätzt, auch im Elternhaus waren sie eher abgewertet worden. Durch die Arbeit mit den Typenindikator wurde ihm erstmals bewusst, dass er gerade mit diesen Eigenarten über wertvolle Fähigkeiten verfügt, die andere sich erst mühsam erobern müssen, er konnte z. B. wesentlich besser zuhören, als seine Kollegen, die es danach drängte, sofort selber zu reden. Damit verstand er Kundenwünsche oft viel schneller und genauer.

2. Von Jungs psychologischen Typen zum praktikablen Instrument

Der Myers-Briggs Typenindikator (MBTI) ist ein Instrument, das von Katharine Myers und ihrer Tochter Isabel Briggs Myers (1991) auf der Grundlage von C. G. Jungs Typentheorie (1995) entwickelt wurde. In den USA gehört er heute im Berufsleben und in Ausbildungskontexten zu den häufig verwendeten Persönlichkeitsinventaren. In Europa wurde er in den letzen 20 Jahren mit steigender Tendenz eingesetzt, im deutschsprachigen Raum vor allem bekannt durch die Arbeit von Bents und Blank (1997). Eingesetzt wird er zur Zeit überwiegend bei Trainings in Unternehmen im Rahmen von Organisations- und Teamentwicklungsmaßnahmen. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass der MBTI und andere psychometrische Instrumente, die sich auf die Jungschen Typentheorie berufen, auch im deutschsprachigen Raum zunehmend bekannter werden (vgl. z.B. Duek 2002, Klose 2002, Stöger 2000, Wildenmann 2000). Zu nennen sind hier neben dem MBTI:

  • DISG - das Akronym steht für die Verhaltensstile Dominanz, Initiative, Stetigkeit und Gewissenhaftigkeit, verwendet wird C.G. Jungs Unterscheidung Extraversion - Introversion
  • Insights Discovery, verwendet die 4 Analysekategorien des MBTI, differenziert weitere Subtypen
  • TMS - Team Management Systems, verwendet 4 dem MBTI ähnliche Analysekategorien und daraus werden 8 Teamrollen definiert
  • POP - Profiler of Personality, er beinhaltet als Weiterentwicklung des MBTI eine zusätzliche Stress-Skala.

Der für mich wichtige Unterschied zwischen diesen Instrumenten besteht darin, dass ein durchgängiger Bezug zur Jungschen Theorie nur bei MBTI und POP besteht; das bedeutet, dass die Ergebnisse über eine Verhaltensbeschreibung zum Zeitpunkt der Selbsteinschätzung hinaus gültig sind. Verhaltensänderungen werden auf der Grundlage eines zeitkonstanten Typus gesehen und eine Entwicklungsdynamik ist Teil der Theorie (Briggs, Briggs Myers 1991, Bents, Blank 1997, Myers 1980).

C. G. Jungs Menschenbild gründet auf der Prämisse, dass alle Menschen ihr Leben lang entwicklungsfähig sind. Ihrer Gesundheit zuträglich ist, wenn sie möglichst viele ihrer speziellen Gaben im Lebenszyklus auch entwickeln. Dies umreißt in nuce Jungs Konzept der Individuation (Jakobi 1999). Gleichwohl stellte er fest, dass bestimmte Ähnlichkeiten des Wahrnehmens und Urteilens das Verhalten einzelner Menschen vorhersehbar macht; aus diesen Erfahrungen entwickelte er seine Theorie psychologischer Typen, die 1921 zuerst erschien. Hier ordnet er unterschiedliches kognitiv-psychisches Umgehen mit sich und der Welt je zwei Polen zu, die einander entgegengesetzt sind: Jung setzt die introvertierte gegen die extravertierte Einstellung und unterscheidet zwei psychische Funktionen mit jeweils zwei Ausprägungen: die Wahrnehmungsfunktion und die Urteilsfunktion (Jakobi 1999). Isabel Briggs Myers überprüft seine Unterschiedsbildungen empirisch, sie konstruiert einen trennscharfen psycho-diagnostischen Erhebungsbogen und entwickelt dazu eine weitere Einstellungskategorie (Myers 1980). Vorausgesetzt ist, dass jedem Menschen jede dieser Modalitäten psychischer Einstellungen und Funktionen zur Verfügung steht (siehe Abb. 1), dass es also reine Typen nicht gibt. Allerdings lassen sich bei den meisten Menschen deutliche Neigungen beobachten und diese Präferenzen bildet das Instrument ab.

Psychische Modalitäten nach C. G. Jung und I. Briggs Myers
Abb. 1: Psychische Modalitäten nach C. G. Jung und I. Briggs Myers

Die vier verschiedenen Analysekategorien, sind unterteilt in zwei Einstellungsmodi und zwei psychische Funktionen. Letztere, die Wahrnehmungs- und die Entscheidungsfunktion, machen den Kern eines Typus aus und beschreiben die Unterschiede, die am deutlichsten sichtbar sind. Die Wahrnehmungsfunktion hat die Ausprägungen sinnenhaft, d.h. bevorzugt über die körperlichen Sinne wahrnehmend oder intuitiv wahrnehmend, d.h. dass zunächst ein Gesamtbild wahrgenommen wird. Die Entscheidungsfunktion hat die Pole logisch-analytisch oder subjektiv-gefühlsmäßig. Der Modus Extraversion oder Introversion beschreibt eine Präferenz für eine eher außenorientierte oder eher innenorientierte Einstellung zur Welt. Der vierte Modus bildet den äußerlich sichtbaren Vorrang entweder der Wahrnehmungsoder der Entscheidungsfunktion ab: strukturiertes Handeln verweist auf die Entscheidungsfunktion, flexibles Handeln auf die Dominanz der Wahrnehmungsfunktion (Myers 1980).

Myers-Briggs Typen-Kürzel
Abb. 2: Myers-Briggs Typen-Kürzel

Der Typencode einer Person setzt sich aus vier Buchstaben zusammen, einer aus jeder Analyse-Ebene, Beispiel s.u.

Außenorientierte oder innenorientierte Einstellung zur Welt (Extraversion/Introversion)

Unterschiede zwischen Menschen sind besonders augenfällig in der Art, wie sie sich mit der Welt in Beziehung setzen: Sind sie außenorientiert - in Jungs Terminologie extravertiert - werden sie stark von der Außenwelt angezogen und generieren Energie hauptsächlich über Menschen und Objekte ihrer Umgebung. Die Außenwelt wirkt wie ein Sog, die Beschäftigung mit ihr gibt neue Energie. Introversion ist der Fachbegriff für eine Einstellung, die eher an der eigenen Innenwelt interessiert ist. Impulse der Außenwelt werden genutzt und im baldigen Rückzug in die Innenwelt verarbeitet. Die Beschäftigung mit inneren Themen wirkt entlastend. Zwar brauchen alle Menschen die Hinwendung zu beiden Richtungen, der Unterschied liegt darin, dass außenorientierte Menschen den Kontakt mit anderen und anderem überwiegend als belebend empfinden, innenorientierte Menschen dagegen eher als anstrengend, sie brauchen stärker den Rückzug auf ihre eigenen Gedanken, um sich wohl zu fühlen.

Sinnenhaftes oder intuitives Wahrnehmen (Sensing/INtuition)

Wahrnehmung hat in Jungs Modell entweder eine sinnenhafte oder eine intuitive Präferenz. In der Sprache des MBTI heißen diese Präferenzen Sensing und INtuition, in Kürzeln S und N. Sinnenhaft wahrzunehmen bedeutet, sich überwiegend auf die Informationen der 'fünf Sinne' Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten zu verlassen. Menschen mit dieser Präferenz neigen dazu, sich zunächst vorwiegend an Fakten zu orientieren. Sie nehmen Tatsachen genau wahr, sie genießen den Umgang damit und sie können sich viele Fakten und Details gut merken.

Bei intuitiver Wahrnehmung im Jungschen Sinne steigt dagegen zuerst ein Gesamtbild auf. Menschen mit dieser Präferenz neigen dazu, sich auf einen Gesamteindruck zu verlassen, sie geben sich allenfalls danach Rechenschaft darüber, aus welchen Einzelteilen es sich zusammensetzt. Intuitive Wahrnehmung hat die Tendenz zur Produktion von Assoziationen, zu Begriffen und Ideen (eben abstrakt, nicht sinnen-gebunden), und Menschen mit dieser Präferenz erkennen gut Zusammenhänge und Möglichkeiten.

Schon diese Skizze macht deutlich, dass beide Wahrnehmungsfunktionen für unterschiedliche Aufgaben unterschiedlich gut passen. Zwar sind auch intuitiv wahrnehmende Typen prinzipiell in der Lage, Karteien zu führen oder Buchhaltung zu machen, sie brauchen dazu jedoch mehr Aufwand als Menschen, die es lieben, mit Fakten zu jonglieren, mehr Aufwand z.B. an Konzentration, Störungsfreiheit, Dauer, Motivation oder Übung. Dies schlägt sich nachweislich in der Berufswahl nieder. So finden sich in Berufen, in denen es auf Messgenauigkeit, Detailtreue, eben den präzisen Umgang mit Fakten ankommt, überdurchschnittlich viele Menschen mit einer Präferenz für sinnliche Wahrnehmung (Briggs, Briggs Myers 1991). Wo Konzeptentwicklung, visionäres Denken, künstlerische Kreation gefragt sind, sammeln sich Menschen mit einer Präferenz für intuitive Wahrnehmung.

Analytisches oder gefühlsmäßiges Entscheiden (Thinking/Feeling)

Für die Urteilsfunktion unterscheidet Jung die Pole, Urteile logisch-analytisch abzuleiten oder sich aufgrund subjektiver Wertvorstellungen zu entscheiden; in der abkürzenden Sprache des MBTI: Thinking oder Feeling. Feeling meint hier nicht das Empfinden von Emotionen, sondern die Orientierung vorrangig an subjektiven Wertvorstellungen. Dies können die eigenen Werte oder die anderer Menschen sein. Dieses gefühlsmäßige Entscheiden bedeutet, sich danach zu richten, was einem selbst situativ passt, was zur eigenen Wertorientierung passt oder was in einer Situation von der aktuellen Umwelt erwartet wird. Überprüfen analytisch urteilende Menschen das, was sie wahrnehmen darauf, ob es logisch stimmig ist, wahr oder falsch, so bewerten gefühlsmäßig urteilende Typen danach, ob das, was sie wahrnehmen, zu dem passt, was sie wertschätzen.

Gefühlsmäßig urteilende Menschen haben häufig ein stark ausgeprägtes Gespür für die Werte und Wichtigkeiten anderer. Sie wählen oft einen Beruf, der Empathie verlangt. Menschen mit analytischer Entscheidungspräferenz treffen ihre Urteile, indem sie sich die Konsequenzen ihrer Entscheidung vor Augen führen. Sie streben nach einem objektiven Maßstab. Entsprechend fühlen sie sich häufig zu Aufgaben hingezogen, die den Umgang mit Gesetzmäßigkeiten erfordern, in denen es auf logische Ordnung ankommt.

Wahrnehmen und Entscheiden als Grundstruktur des Typus

Kern eines Typus sind die in den letzten beiden Abschnitten umrissenen unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Entscheidungsweisen. Diese sehr grundsätzlichen kognitiv-psychischen Funktionen werden ständig genutzt, denn von allen Inhalten und Umwelten abgesehen sind wir darauf angewiesen, unablässig Informationen aus unserer inneren und äußeren Welt aufzunehmen und daraus Schlüsse für unser Handeln zu ziehen. Insofern ist es plausibel, dass unser Empfinden und Handeln durch die Präferenzen unseres Wahrnehmens und Entscheidens geprägt sind. Präferenz bedeutet hier, dass wir einen bestimmten Wahrnehmungs- und einen Entscheidungsstil bevorzugen, uns darauf verlassen, obgleich wir auch den jeweils anderen Modus zur Verfügung haben - so wie wir uns üblicherweise mit unserer bevorzugten Hand die Zähne putzen. Wir können dies aber auch, sollte es nötig sein, mit der anderen Hand bewerkstelligen.

Jeder Präferenz ist im Umgang mit der Welt unverzichtbar - wie nützlich sie für eine bestimmte Aufgabe ist, hängt dagegen von der jeweiligen Situation und ihren Anforderungen ab. Jungs Typentheorie geht davon aus, dass jedem Menschen jede Funktion zur Verfügung steht, dass wir uns jedoch auf diejenigen, die wir präferieren, eher verlassen, weil wir sie bequemer bedienen können. Das Leben stellt Anforderungen aller Arten, und eine gute Persönlichkeitsentwicklung bedeutet, durch Erfahrungen auch die ferner liegenden Präferenzen zu entwickeln und je nach Situation über ihren Einsatz entscheiden zu können.

Der Vorrang der Wahrnehmungs- oder der Entscheidungsfunktion: strukturiertes oder flexibles Handeln (Judging/Perceiving)

Ausgehend von C. G. Jungs Theorie (1995) und von ihm ermutigt, begannen Kathrin Myers und ihre Tochter Isabel Briggs Myers (1980) in den 30er Jahren ihre eigenen Forschungen und entwickelten die Vorläufer des heutigen MBTIFragebogens. Dafür fügten sie Jungs Kategorien eine vierte hinzu, mit deren Hilfe sich unterscheiden läßt, ob nach Außen die Wahrnehmungs- oder ob die Entscheidungsfunktion dominiert. Diese vierte Dimension bildet den Umgangsstil mit den Anforderungen der äußeren Welt ab und verweist auf einen Ort vieler Alltagsreibereien: nämlich ob Menschen es bevorzugen, Entscheidungen zügig zu treffen und die Tendenz haben, zielorientiert zu handeln (in der Terminologie: Judging - im Sinne von entscheidend) oder ob sie dazu tendieren, eher der Wahrnehmungsfunktion den Vorzug zu geben, die Dinge eher auf sich zukommen lassen und lange offen sind für neue Informationen, bis sie sich entscheiden können (Perceiving - wahrnehmend).

Es erleichtert den Umgang miteinander, davon auszugehen, dass genannte Termine bei J-Typen in der Regel als vereinbarte Zeitpunkte gelten, P-Typen meinen und verstehen Termine eher als vorläufige Absichtserklärungen. Wer diesen Unterschied kennt, kann einer Menge Unstimmigkeiten vorbeugen. Zu wissen, was der eigene Stil ist, hilft auch, die Wichtigkeiten und unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten anderer zu berücksichtigen.

Der Fragebogen

Der Myers-Briggs Typenindikator erhebt Handlungspräferenzen mittels eines Selbsteinschätzungs-Fragebogen. Die Ergebnisse werden auf vier dichotomen Skalen mit gleichrangigen Polen abgebildet. Es handelt sich um ein psychodiagnostisches Instrument, mit dem zeitstabile Persönlichkeitsunterschiede verlässlich gemessen werden können. Ausgehend von dem errechneten Ergebnis erfolgt die erforderliche persönliche Validierung in einem Beratungsgespräch. Die 90 Fragen nach persönlichen Neigungen sind inzwischen kulturell angepasst, sie sind äußerst trennscharf, die einzelnen Skalen und das Instrument insgesamt erfüllen hohe Gütekriterien (Briggs, Briggs Myers 1991). Die vier dichotomen Skalen führen zu 16 Kombinationsmöglichkeiten der Präferenzen, daraus ergibt sich das Typenprofil. Zielgruppe (wie auch statistische Vergleichsgruppe) dieses Typenindikators sind psychisch gesunde Menschen.

In Beratungsberufen, in Werbung und Forschung und unter KünstlerInnen trifft man diesen Typus häufig an:

Kontaktfreudig und an vielen Dingen der Außenwelt interessiert (E), sieht diese Person Zusammenhänge und die Möglichkeiten, die den gerade aktuellen Themen innewohnen; (N)

Details und Fakten sind ihr wahrscheinlich weniger wichtig. Zunächst bewertet sie das, was auf sie zukommt danach, ob es ihre Sicht der Welt bestätigt;

was anderen Menschen wichtig ist, erkennt sie sehr schnell (F).

Sie ist offen für Neues und legt sich nicht gerne fest (P).

Der Typencode, der diesem Verhalten entspricht, ist ENFP extrovertierte Einstellung, intuitive Wahrnehmung, entscheiden auf Grund von subjektiven Werten, flexibler Lebensstil.

In Pharmakologie, Ingenieurberufen und im Controlling ist folgender Typus verbreitet:

Ruhig und zurückhaltend denkt er zunächst gründlich nach, bevor er sich äußert (I).

Für Zahlen und Fakten hat er ein gutes Gedächtnis, ist praktisch, steht mit beiden Beinen im Leben und tut, was getan werden muß (S);

die Fähigkeit zur alltäglichen sozialen Kommunikation wird wahrscheinlich erst später im Leben entwickelt.

Prinzipien und Gerechtigkeit sind wichtige Beurteilungskriterien (T) und Klassifizieren nach logischen Gesichtspunkten fällt leicht. Anstehende Entscheidungen werden rasch gefällt, Ordnung und Übersicht sind wichtig (J).

Der Typencode, der diesem Verhalten entspricht, ist ISTJ introvertierte Einstellung, sinnenhafte Wahrnehmung, logisch-analytisches Urteilen, strukturierter Lebensstil.

Abb. 3: Beispiele Kurz-Typisierungen

3. Coaching und Karriereberatung mit dem MBTI

Inzwischen habe ich den MBTI -Typenindikator etwa 90mal eingesetzt und nach meinen Erfahrungen hat sich das Instrument zusammen mit seiner zugrunde liegenden, oben sehr knapp zusammengefaßten Theorie als förderlich für eine ressourcenfokussierende Beratung erwiesen. Die Befürchtung „Typisierung? Da werde ich doch in eine Schublade gesteckt!“ ist gewichen, nachdem die Ergebnisse gemeinsam ausgewertet sind. Die meisten KlientInnen berichten sehr individuelle Erkenntnisse zu ihrer persönlichen Situation und sind verblüfft, wie ein scheinbar einfaches Instrument diese zu Tage fördern konnte.

Was bergen die Schubladen?

Das Typenmodell des MBTI reduziert die komplexe Vielfalt menschlichen Verhaltens auf eine für Selbsterkenntnis nützliche und im Coachingprozess praktikable Art. Die 16 möglichen Typen sind differenziert genug, wichtige persönliche Unterschiede z.B. in Kommunikation und Führungsstil zu beschreiben. Diesen Schubladen der Typisierung ordnen sich die KlientInnen selber zu, indem sie den beschriebenen Verhaltensweisen (im Fragebogen) für sich Bedeutung geben. Die Typenbeschreibungen zeigen Zusammenhänge auf und können so - vorausgesetzt, sie werden als stimmig erlebt - zu präziseren Wahrnehmungen führen: von eigenem Verhalten, Zuschreibungen von außen und der eigenen Einschätzung anderer. Durch die Unterscheidungsbildungen mit Hilfe der Präferenzen entsteht Sinn. Die als schwierig erlebten Verhaltensweisen anderer können systematisch auf ihre Stärken befragt werden (und umgekehrt): die hyperkritische Chefin gewährleistet Genauigkeit, der ewige Pessimist hat sofort die worst-case Entwicklung im Blick.

Im Rückblick berichten KlientInnen vom Nutzen durch die hier verwendete Sprache, die menschliche Unterschiede beschreibt ohne zu werten, so dass persönliche Eigenheiten - die eigenen und die Anderer - ohne Abwertung benannt werden können. Häufig stellt sich auch Erleichterung ein, nun Begriffe zu haben, um vorher unklar Empfundenes ausdrücken zu können. Für manches, was KlientInnen schon wußten, bekommen sie durch die Ergebnisse des Typenindikators eine Bestätigung. Häufig reicht das (Wieder-)Entdecken der eigenen Präferenzen und deren Würdigung aus, sich auf die eigenen Stärken verlassen zu können. Konfliktpotentiale und Bereiche weiterer Entwicklung können rasch identifiziert werden.

Berufliche Entwicklung

Dass sich in bestimmten Berufen bestimmte Typen überzufällig häufen heißt, dass Anforderungsprofile und Tätigkeitsmerkmale zu bestimmten Präferenzen in Beziehung stehen. Verkauf z.B., mit häufigem direkten Kundenkontakt, zieht extrovertierte Menschen in der Regel mehr an als introvertierte. Jungs Modell bietet eine Erklärung dafür, warum eine bestimmte Tätigkeit einer Person leicht oder schwer fällt.

Solche Gesichtspunkte spielen bei der Berufswahl eine Rolle. Häufig bestätigt das Typenprofil die Eigenwahrnehmung der KlientInnen, die sie jedoch bis dahin nicht griffig ausdrücken konnten. Wenn z.B. junge Menschen an ihrer ersten Berufsentscheidung zweifeln, können die angebotenen Kategorien rational Gedachtes und emotional Empfundenes bewusst und zielgerichtet verhandelbar machen, Präferenzen und persönliche Absichten können mit einander in Beziehung gebracht werden. Ich setzte den MBTI neben anderen Instrumenten regelmäßig in der Phase der Standortbestimmung ein. Ebenso kann man durch ihn nützliche Hinweise gewinnen auf Arbeitsbedingungen, die für optimale Leistungen nötig sind.

In Karriereberatungsprozessen liegt ein Schwerpunkt auf Stärkenanalyse. Hierbei ist der Myers-Briggs Typenindikator wirkungsvoll, um Stärken zu analysieren, die den KlientInnen häufig selber nicht bewusst sind. Gleichzeitig bietet er die Möglichkeit, Verhaltensfallen und Verbesserungspotentiale zu identifizieren. Die Fragebogenergebnisse bieten Anknüpfungspunkte, systematisch zu eruieren ob und wie übertriebene Stärken zu Schwächen werden, ob z.B. eine gut ausgeprägte Empathiefähigkeit die Gefahr birgt, mangels Realitätskontrolle zu gutgläubig, ja vertrauensselig zu werden, oder ob gut beherrschte Zielorientiertheit ohne Not die Interessen anderer missachtet und dadurch demotivierend wirkt.

Es widerspricht der Typentheorie nicht, dass Menschen unter Berufswahlgesichtspunkten über ein nicht-determiniertes, variables Potential verfügen, sich vielfältige Fähigkeiten anzueignen und sehr unterschiedliche Tätigkeiten auszuüben. Auch bieten scheinbar gleiche Berufsbilder, je nachdem in welchem Praxisfeld sie angesiedelt sind, unterschiedliche Arbeitsbedingungen und -anforderungen. Der Myers-Briggs Typenindikator kann als Kompass bei der Suche nach Aufgaben und Berufsfeldern genutzt werden, die zu den persönlichen Stärken passen. Darüber hinaus finden sich in jedem Bereich Menschen, die untypische Vertreter ihres Berufs sind. Sie tun die anstehenden Aufgaben meist auf ihre sehr spezielle Art und sind nicht selten dieses Unterschieds wegen erfolgreich.

Eine Werbedesignerin fühlte sich in ihrer Arbeitsumgebung äußerst unwohl. Ihr wurde von Kollegen mehrfach bedeutet, sie sei nicht kreativ genug. Sie erlebte, dass ihr berufliches Selbstbewusstsein immer dürftiger wurde. Der Typenindikator ergab eine introvertierte Einstellung - hierin stand sie deutlich im Kontrast zu ihrem Arbeitsfeld, in dem eher extrovertierte Menschen den Ton angaben. Diese Art von Unterschied zwischen ihren Kollegen und sich zu erkennen, de-eskalierte unmittelbar akute Konflikte: sie verstand, dass die anderen sie nicht verstehen konnten. Nach dieser Erleichterung konnte sie sich ihres kreativen Potentials vergewissern und herausarbeiten, welche Arbeitsbedingungen ihrer speziellen Art förderlich sind. So achtete sie bei ihrer Stellensuche genau auf Organisationskultur und persönliche Passung und fand eine Agentur, in der ihre Art geschätzt wird. Hier setzt sie nun ungebremst und mit Freude an der Arbeit ihre Energien ein.

Persönliche Entwicklung

Entwicklungstheoretisch gesehen wird die präferierte Funktion häufiger ausgeübt, und zwar auf Kosten der entgegengesetzten Funktion, dies führt zu ihrer bequemeren Handhabung - ein sich verstärkender Zirkel. Je nach Ort im Lebenszyklus bestehen persönliche Entwicklungsaufgaben darin, die eigene Präferenz zu stabilisieren oder - vor allen Dingen in späteren Jahren - ferner liegende Wahrnehmungs- und Urteilsweisen in Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Welt ebenfalls zu erlernen. Darüber hinaus lassen sich Schattenbereiche identifizieren (Lippuner 2002, Quenk 1993): dauerhaft vermiedene Wahrnehmungs oder Urteilsfunktionen machen in Stress-Situationen für Fehler anfällig, hier kann vorgebeugt werden.

Menschen neigen dazu, die Bewertung einer relevanten Umwelt absolut zu setzen. Dass die aktuell wichtigen Bezugspunkte nicht die einzigen sind, ist eine Erkenntnis, die Coaching-KlientInnen oft die Möglichkeit zu weiteren Blickwechseln ermöglicht: anderswo gelten andere Normen. Im Unterscheiden, was die besonderen Fähigkeiten anderer Menschen und was die eigenen sind, entsteht stärkende Selbstvergewisserung. Das angestrengte Kopieren anderer kann eingeschränkt werden. Von hieraus können, wie von einem sicheren Basislager aus, dann auch Vorstöße ins Ungewohnte gewagt werden.

Krisenbewältigung

Da Karriereberatungen und Coaching häufig in persönlichen Krisenzeiten nachgesucht werden, hängt eine Entlastung der KlientInnen auch davon ab, wie schnell sie wieder Zugang zu ihren individuellen Ressourcen gewinnen und selber für ihre Ziele aktiv werden können. Beim Entwickeln neuer Tätigkeitsfelder bieten die Ergebnisse des Typenindikators Hinweise auf die nötige Art von Unterstützung: Menschen, denen der Umgang mit Fakten und Details liegt, also sinnenhaft wahrnehmenden Typen, fällt es oft leicht, Daten zu sammeln, zu recherchieren, anhand vorgegebener Listen mögliche Tätigkeitsbereiche zusammenzustellen. Schwerer fällt ihnen, besonders in Krisensituationen, sich bisher unbekannte Möglichkeiten vorzustellen - das können intuitiv wahrnehmende Typen eher. Häufig brauchen die sogenannten S-Typen hierfür gezielte Unterstützung und Methoden, in denen sie ihre oft gut entwickelte Fähigkeit zu ordnen und zu kategorisieren einsetzen können. Andererseits können Menschen mit gut entwickelter intuitiver Wahrnehmung - N-Typen - in kritischen Situationen dadurch Stabilität gewinnen, dass sie die Vielfalt ihrer beruflichen Möglichkeiten erleben. Es wirkt auf sie entlastend und beruhigend, viele Möglichkeiten zu haben. Mit diesen Möglichkeiten im Rücken können sie mit neuer Perspektive auf die konkreten Anforderungen und faktischen Gegebenheiten ihres aktuellen Jobs schauen. Und nicht selten beschließen gerade solche Menschen, ihre alte Arbeit mit neuem Mut und neuen Zielen wieder anzupacken.

Das bedeutet nicht, dass ich den Typenindikator zu Beginn eines jeden Coachings einsetze. Interventionsleitlinie in einer akuten Krise ist, dass die Person sich stabilisiert durch das Erleben ihrer Fähigkeit zur Selbstregulation. Die Ressource, durch Verstehen und grundsätzlichere Reflektion erlebten Druck zu erleichtern, ist in solchen Fällen erst ein späterer Schritt.

Konfliktprophylaxe

Wenn Führungskräfte oder Leitungsteams Coaching in Anspruch nehmen, ist der Umgang mit Vorgesetzten der nächst höheren Hierarchiestufen ein häufiges Anliegen. Dabei eignet sich der MBTI dazu, Themen der Arbeitskoordination und Kooperation zu veranschaulichen, deutlich zu machen, wie Rollen und Präferenzen zusammen passen, welche Wirkungen der persönliche Führungsstil hat und zu klären, welche kommunikativen Handlungen nötig sind, damit die verschiedenen Rolleninhaber ausreichend Orientierung haben, um ihre jeweiligen Aufgaben zu erfüllen. Durch das Fokussieren auf die Aufgaben und die erstrebten Resultate einerseits und auf die jeweiligen persönlichen Präferenzen andererseits ist es möglich, konflikthafte Dialoge zwischen den Beteiligten zu entdramatisieren. Damit wird der Eskalation von Konflikten vorgebeugt. Der MBTI trägt hier nicht nur wesentliche Unterscheidungen zur Stärkenanalyse der Akteure bei. Das Einüben einer Perspektive, die Unterschiede der Neigungen und Wahrnehmungen voraussetzt und die Haltung des unbedingten Respekts der Andersartigkeit, die zu den Anwendungsgrundsätzen des MBTI gehört, führt häufig zu einer entspannenden Wirkung. Letztlich wirkt auch hier die Änderung der inneren Einstellung, die über Konstruktionen veränderter subjektiver Wirklichkeiten zu den von den KlientInnen gewünschten Wirkungen führt.

4. Voraussetzungen für den Einsatz des Myers-Briggs Typenindikators
... seitens der KlientInnen

Zeitlich investieren KlientInnen etwa 30 Minuten beim Ausfüllen des Fragebogens und etwa 1,5 Stunden für ein persönliches Auswertungsgespräch, eingebettet in den Coachingprozess. Dabei werden die standardisierten Ergebnisse validiert und interpretiert. Nur wenn die auf Grund der errechneten Ergebnisse erstellte Typenbeschreibung ( 1 Seite Text) von den KlientInnen als für sich zutreffend akzeptiert wird, kann sie nützlich sein. Grundsatz dabei ist, dass die Kompetenz der Selbsteinschätzung an niemanden, auch nicht an ein noch so gutes Instrument, abgegeben werden kann. Die persönliche Bewertung der Ergebnisse durch die KlientInnen ist unverzichtbar, um generelle methodische Einschränkungen von Fragebogenmethoden zu kompensieren. Auf diese Art kann das Ergebnis der Fragebogenauswertung anhand der Analyse von Verhaltensbeispielen gegebenenfalls im Dialog korrigiert werden. Deshalb reichen für eine seriöse Interpretation Typisierungen aus zweiter Hand oder Ergebnisse von frei zugänglichen Internet-Versionen nicht aus. Letztere sind unvollständig und kulturell nicht standardisiert, sie enttäuschen, weil sie an der Oberfläche bleiben und die Möglichkeiten des Instruments nicht ausschöpfen. Aufschlußreiche Ergebnisse setzen außerdem voraus, dass die KlientInnen sich nicht in psychotherapeutischen Prozessen befinden, weil die dort bewirkten Veränderungsvorgänge die Sicherheit von Selbsteinschätzungen zeitweise verringern können.

... seitens des Coaches

Wenn Berater den Typenindikator verwenden wollen, so ist eine Schulung im Einsatz des Instruments die notwendige Voraussetzung. Nötig sind Kenntnisse des Instruments selbst sowie der zugrunde liegenden Typentheorie, so dass Fragen und Unklarheiten im Rückgriff auf die Theorie geklärt werden können. Beschränken sich die Kenntnisse darauf, wie der Fragebogen ausgewertet wird, bedeutet das Unsicherheit in der Validierung der Ergebnisse in Fällen unklarer Selbsteinschätzung. Diese speziellen Kenntnisse sind ohne generelle Beratungskompetenz nicht hinreichend, geht es doch darum, die diagnostischen Ergebnisse einzelner Instrumente für die Beratungsziele der Klientinnen fruchtbar zu machen. Dazu gehört eine ausreichend solide Analyse nicht nur der persönlichen, sondern auch der sozialen und organisatorischen Gesamtsituation der KlientInnen, so wie sie generell für Coaching erforderlich ist. Bedarf im Rahmen von Organisations- und Teamentwicklung der seriöse Einsatz von Typenindikatoren immer der stimmigen Verbindung mit den Organisationszielen, so muß er im Coaching mit den Arbeitsund Beratungszielen der KlientInnen übereinstimmen. Um entsprechend intervenieren zu können, soll ein Coach über ein breites Methodenrepertoire verfügen, zu dem auch der analysierende Blick auf die Organisation gehört, in die ein Klient oder eine Klientin eingebunden ist. Ebenfalls gehört die Fähigkeit zur änderungsfördernden, befähigenden Beziehungsgestaltung dazu - also lauter Kompetenzen, die im Rahmen einer soliden Beratungsausbildung erworben werden können.

5. Fazit

Aus meiner Sicht als Beraterin können die Präferenzen, die der Myers-Briggs Typenindikator abbildet, wie ein Navigationssystem genutzt werden, um Stärken herauszufinden, die den KlientInnen nicht bewußt sind und deshalb nicht rational eingesetzt werden. Der MBTI bildet keine Fähigkeiten ab, sondern bevorzugte Denk- und Handlungsprozesse, damit verweist er mit hoher Trefferwahrscheinlichkeit auf die Koordinaten, die die persönlichen Begabungen bestimmen und macht sie auffindbar. KlientInnen können sehr bald eigene Erfahrungen und Situationen damit verbinden und haben ein Modell zur Verfügung, das sie selber, so ausführlich, wie es ihrem Interesse entspricht, verwenden können. Aufgelöst wird das Gebannt-Sein durch das Starren auf Defizite, die Wege zu eigenen Potentialen werden frei. Hinter den Coaching-Anlässen liegende Wahrnehmungsund Deutungsmuster, die Berufsentwicklung und Lebensgestaltung grundlegend beeinflussen, können rational kommuniziert werden.

Prüfstein dafür, ob eine Typen-Bestimmung passt, ist die Erfahrung der Stimmigkeit seitens der KlientInnen. Der MBTI entfaltet sein Potential im dialogischen Prozess. Er stellt die Stärken eines Menschen in den Vordergrund und entspricht damit einem ressourcenorientierten Beratungsansatz. Daneben schränkt er die Gefahr systematischer Selbstüberschätzung ein, der Blick auf die Schattenseiten der Stärken gehört zur Auswertung, Strategien zum Umgang damit sind Teil des Coachings (Quenk 1993).

Die hier beschriebenen Analysekategorien beschreiben Verhalten phänomengebunden und sind für jegliches Handeln konstitutiv. Kenntnisse oder Intelligenz bildet das Modell nicht ab. Es wird nichts Pathologisches oder Defizitäres diagnostiziert, Handeln wird nicht unter Krankheits- oder Abweichungsperspektiven betrachtet, eine Wertung findet nicht statt und bereitgestellt wird eine durchweg wertschätzende Sprache für die Auseinandersetzung mit den persönlichen Präferenzen.

Selbstverständlich ist jeder Mensch mehr als seine Typisierung beschreibt. Die eigenen Anlagen, Lebenserfahrungen, Fähigkeiten und kulturell-sozialen Prägungen sind so unterschiedlich, dass jeder Mensch wirklich einzigartig ist. Das wird auch deutlich, wenn sich zwei Menschen demselben MBTI -Typus zugeordnet haben: sie unterscheiden sich häufig eklatant in ihrer Weltanschauung, ihren Werten, ihrem Können und ihrem individuellen Ausdruck. Die 16 Schubladen des MBTI sind jedoch um Vieles differenzierter, als das, was mir aufgrund meiner eigenen Deutungsgewohnheiten situativ gegenwärtig sein und umgesetzt werden kann. Sie bieten ein Gerüst, systematisch Unterscheidungen einzubeziehen, die mir selber weniger nahe sind. Damit ist der Myers-Briggs Typenindikator sowohl für BeraterInnen als auch für KlientInnen ein bereicherndes persönlichkeitstheoretisches Referenzmodell, wenn es um geplante und reflektierte Persönlichkeitsentwicklung, Karriereplanung und Konfliktbewältigung geht.

Zusammenfassung

Zur Standortbestimmung in der Karriereberatung und für die Situationsanalyse bei verschiedenen Coaching-Anlässen ist der Myers-Briggs Typenindikator ein theoretisch gut fundiertes und zweckdienliches Instrument. Seine vier Grundkategorien erlauben umfassende und differenzierte Deutungsmöglichkeiten. Die Einzigartigkeit jedes Menschen und der Respekt vor der Andersartigkeit anderer sind seine Prämissen. Davon ausgehend ermöglicht der auf C. G. Jungs psychologischen Typen beruhende Indikator, kognitive Funktionen zu klassifizieren und damit eigenes Denken und Handeln genauer wahrzunehmen und fremdes erklärbar zu machen.

Der Typenindikator braucht einen Kontext von Beratungsbzw. Trainingszielen, er setzt fundierte Beratungskompetenz des Coachs voraus und findet dann gute Akzeptanz bei den KlientInnen. Die Ergebnisse unterstützen berufliche und persönliche Entwicklungen, sie eignen sich dazu, Themen der Arbeitskoordination und Kooperation zu veranschaulichen und Konfliktdialoge zu entdramatisieren. Die Jungschen Kategorien bieten einen weiteren wesentlichen Nutzen: ihre wertfreie Sprache. Sie trägt dazu bei, Selbstbewußtheit zu stärken und Konflikte zu de-eskalieren und so von gesichertem Terrain aus neue Handlungsfelder zu erobern.

Literatur

Briggs, Katherin C., Briggs Myers, Isabel, deutsche Bearbeitung von R. Bents und R. Blank: MyersBriggs Typenindikator, MBTI-Manual, Beltz Test GmbH 1995 (Erstveröffentlichung 1991)

Bents, Richard, Blank, Reiner: Der M.B.T.I.: die 16 Grundmuster unseres Verhaltens nach C.G. Jung; eine dynamische Persönlichkeitstypologie, Claudius: 1997

Dueck, Gunter: E-Man, Berlin Heidelberg: Springer, 2002

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Wildenmann, Bernd: Die Persönlichkeit des Managers, Göttingen: Hogrefe, 2000

Summary

Myers-Briggs Type Indikator - a useful tool for coaches and career counselers to identify clients gifts

by Christine Scharlau

For career counselling and coaching processes the Myers-Briggs Type Indicator has proved to be a sound and well-designed instrument. As such it is a useful and effective tool which allows me to assess and analyse a client's position. The four categories of personality styles yield a broad spectrum of insights and are subtlely differentiating. The premises of the MBTI are the uniqueness of the individual and the respect for individual differences. Focussing on these premises and based on concepts originating from C.G. Jung, this indicator establishes categories of cognitive functions. These will enable a client to gain a better perception of herself or himself and enhance her or his understanding of others.

It is necessary, however, that the results of the i ndicator are embedded into a context of counselling goals; for the benefit of the client solid counselling skills of the coach are essential. These preconditions provided, the indicator will support a client's professional and personal development and can be used to explain issues of work coordination and cooperation. Especially disputes become more matter-of-fact and less charged with emotion.

The Jungian concepts offer one other essential benefit: they are nonjudgemental in their language. This allows self-esteem to grow and de-escalates conflicts. Once common ground is found, new avenues towards action can be explored.

Christine Scharlau, 2004

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