Manfred Prior,
Carl-Auer Verlag 2006, 186 Seiten, 14,95 €
Rezension von Christine Scharlau, leicht gekürzt erschienen in OSC - Organisationsberatung, Supervision, Coaching 1/Februar 2008
„Der Entschluß einen Arzt aufzusuchen, gab Konrad Auftrieb. Als ob der Vorsatz, seinen Problemen auf den Grund zu gehen, auch zugleich deren Lösung darstellte. Sein Gedächtnis spielte ihm keine Streiche mehr. Nie hatte Rosemarie das Gefühl, er verwechsele sie.“
Martin Suter: Small World 1
1 Diogenes, S. 106
Allein der Entschluß, etwas anzugehen, verbessert die Problemlage. Im Zitat ist dies Phänomen für die demenzkranke Hauptperson eines Krimis beschrieben. Beobachten lässt es sich auch an den fast verschwundenen Zahnschmerzen, sobald der Zahnarzttermin ausgemacht ist. Wie Manfred Prior die Kraft des Anfangs in einer Beratungsbeziehung nutzt, entfaltet er systematisch und präzise in seinem Buch. Er zeigt wie schon vor der Beratung, der Psychotherapie oder dem Coaching, im ersten Kontakt zu den Klienten während der Telefongespräche zur Terminvereinbarung, die Weichen für eine gute Zusammenarbeit gestellt werden können.
Viele Coaches vereinbaren Termine am Telefon selbst, auch ich mache das so und seit Jahren erhalten Klienten mit der Vereinbarung des ersten Termins von mir Aufgaben zur Vorbereitung unseres ersten persönlichen Treffens, um die Zeit gut zu nutzten. Mir war klar, daß schon die Vorbereitung auf eine Beratung entscheidende innere Arbeit auslöst und diese Zeit genutzt werden kann, um schon vor Beratungsbeginn eine gute Beziehung der Klienten zu ihren Stärken zu unterstützen.
Auf einem Workshop in Bad Orb 2004 habe ich bei Manfred Prior weitere gute Gründe und seine überzeugende Form einer ausführlichen Orientierung bei der Terminvereinbarung erlebt2. Die habe ich für mich angepaßt und seither können sich meine Klienten auf das erste Treffen noch besser einstellen. Das bedeutet u. a., daß die Klienten sicherer bezüglich dessen sind, was auf sie zukommt; sie kommen vorbereitet zum ersten Termin und können sich so ungestörter auf ihren Teil des Kontrakts konzentrieren – ihr unwillkürliches Wissen im Umgang mit ihrem Anliegen herauszufinden.
2 „Das ,Säen' und Suggerieren von Besserungen durch Informationen vor dem ersten Telefonat“, Jahrestagung der Milton Erickson Gesellschaft in Bad Orb, März 2004
Um es vorweg zu nehmen: Was Manfred Prior hier darlegt ist schlüssig, höchst anregend und, so man seine stärkenorientierte Haltung teilt, für Coaching und Psychotherapie unmittelbar umsetzbar. Ausdrücklich geht er auf den Vorteil ein, pathologisierende Etikettierungen zu vermeiden und, auch wenn Psychotherapie nachgefragt wird, die Zusammenarbeit eher "eine Art Coaching in einer schwierigen Situation" zu nennen.
Sein Vorgehen läßt sich kurz in folgenden vier Schritten zusammenfassen:
Dabei kommt es darauf an, die eigenen Sätze offen als Angebote zu formulieren und sie falls nötig so lange zu verändern, bis der Anrufer zustimmt. Dies löst einen inneren Prozeß aus, in dem der Anrufer sein Anliegen überprüft und präzisiert, also innerlich aktiv wird, und damit größere Klarheit gewinnt.
Mit diesen Informationen mache ich gleich deutlich, was mir als Coach für den Anfang der gemeinsamen Arbeit wichtig ist, gebe den Anrufern eine erste Orientierung und beginne damit, meinem Gegenüber eine förderliche Einstellung zum eigenen Verhalten nahe zu legen.
Die Voraussetzungen dieses Settings sind:
Dieses Vorgehen, das Manfred Prior in jedem Schritt genau beschreibt und an Beispielen erläutert, hat viele Vorzüge. Nach jetzt drei Jahren Erprobung schätze ich besonders folgende Aspekte:
Implizit wird damit vermittelt:
Weil sie die Asymmetrie der sozialen Rollen verringert, wirkt solch eine Vorinformation für die Klienten entlastend. Klare Ankündigungen zum Ablauf des ersten Treffens verringern solche Unsicherheiten, machen den Kopf frei für das, was mit einer Beratung erreicht werden soll und bereiten den Boden für Lern- und Veränderungsprozesse.
Schließlich ist die Verbesserungsvorhersage bei Priors Vorgehen besonders interessant: das beiläufige Hinweisen auf die Erfahrung von Veränderungen zum Guten, die bis zum ersten Treffen eintreten können, und die Bitte, auf so etwas zu achten. Hypnotherapeuten ist das Milton Erickson'sche Konzept des ,Seedings' bekannt, um die Aufmerksamkeit von Klienten gezielt auf Möglichkeiten zu lenken, die dann auch regelmäßig eintreten. Hier wird der Kern einer Self-Fullfilling Prophecy gesät: die Filter der Wahrnehmung werden justiert, so daß die mit der Terminvereinbarung bewiesene Entschiedenheit des Handelns unterstützt, Selbstvertrauen und Anknüpfen an schon erlebte Stärken fokussiert werden.
Es ist damit zu rechnen, daß so vorbereitete Beratungsprozesse kürzer werden. Nicht auszuschließen ist, daß die Arbeit des Coaches leichter, unter Umständen sogar angenehmer wird.
Coaching ist besonders wirksam, wenn es bereits vor der ersten Sitzung, während des Telefonats zur Terminvereinbarung beginnt. Der Vorsatz, seinen Problemen auf den Grund zu gehen, ist Teil ihrer Lösung und kann gerade zu diesem Zeitpunkt in erstaunlich wirkungsvoller und einfacher Weise für eine ressourcenorientierte Beratung genutzt werden. Auf welche Weise das geschehen kann, beantwortet Manfred Prior mit vielen Beispielen Schritt für Schritt. Seine Anleitung ist genau, klar, humorvoll und von einer Leichtigkeit, die bei großem Können gelingt. Sein Text ist auf ein einfaches Niveau gehoben und, auch weil er ganz ohne Jargon auskommt, vergnüglich zu lesen.
Christine Scharlau
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